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Kurz vor Weihnachten haben fast alle Staaten in Kattowitz noch einmal die Klimaziele und deren Umsetzung bestätigt. Die Weltgemeinschaft hat sich mit dem komplexen Thema der Migration auseinandergesetzt und verschiedene Verlautbarungen diskutiert und teilweise auch verabschiedet. Als Folge einiger Skandale haben schon seit Monaten weitere moralische Themen Einzug in die gesellschaftliche und wirtschaftliche Diskussion gefunden. In den Banken wurden hohe Boni ausgeschüttet während gleichzeitig öffentliche Gelder für die Bankenrettung notwendig wurden. Schienenkartelle haben die Kosten für die Bahn ungerechtfertigt nach oben getrieben. Schwarze Kassen zur Zahlung von Schmiergeldern im internationalen Geschäft wurden aufgedeckt. Die Panama Papers haben rechtlich zulässige und unzulässige Steuermodelle offen gelegt. Beim Diesel-Skandal stehen massive Betrugsvorwürfe im Raume. Und immer wieder werden unmoralisch hohe Manager-Vergütungen angeprangert. Der Umgang mit der Moral ist also ein sehr aktuelles Thema für unsere Gesellschaft und die Unternehmen.

Es ist grundsätzlich gut, dass moralischen Überlegungen angestellt werden, um uns eine bessere Welt zu bescheren. Die Diskussionen zeigen aber auch, dass man die verschiedenen Themen durchaus zu unterschiedlichen Ansichten kommen kann. Es ist gar nicht so leicht, verbindliche moralische Standpunkte zu finden. Was ist denn nun eigentlich Moral und welche Ausprägungen gibt es?

Wie die Moral erfunden wurde

Können Sie sich vorstellen, dass Moral zwar ein sehr altes, aber nicht schon immer vorhandenes Phänomen ist. Ja tatsächlich, Moral oder besser eine Auseinandersetzung mit der Moral mußte erst erfunden werden. Das ganze spielte sich im 5. Jahrhundert vor Christus im klassischen Griechenland ab. In der Kultur der damaligen Zeit verkörperten die (zahlreichen) Götter alles was gut und schlecht war. Die Götter gnädig zu stimmen, konnte gute Ernten und ein glückliches Leben bedeuten. Bei Fehlverhalten war man sich des Zornes der Götter sicher und daher galt es eben, sich nach den überlieferten Regeln der Götter zu verhalten. Niemand hatte bis dahin an der sittlichen und ethischen Unantastbarkeit der Götter gezweifelt. Vielleicht war auch die Angst zu groß, sich gegen göttliche Grundsätze zu stellen.

Die Anzahl der zu verehrenden Götter war durch die Ausbreitung des Mythos unübersichtlich groß geworden. Damit ging im Volke auch der Überblick über die Rolle und Wichtigkeit der einzelnen Sagengestalten verloren. Das war für die Vorbildfunktion der Anfang vom Ende. Außerdem hatten die beschriebenen Götter eben alle unterschiedliche Eigenschaften und Fähigkeiten. Wir würden heute sagen, die Führung zeigte alle nur denkbaren Persönlichkeitsprofile. Dementsprechend schwierig war die Bewertung der richtigen und positiven Attribute. Schließlich war Zeus anerkannter Ehebrecher, Eros ein hinterlistiger Verführer und Prometheus ein Verbrecher, der göttliche Gesetze gebrochen hatte.

Die Sophisten haben die vielen frevelhaften Taten der griechischen Götter mit der Frage verknüpft, warum den Göttern kritiklos Verhalten zugesprochen werden, die in der Gesellschaft auf Erden als verwerflich gelten. Eine Auseinandersetzung mit dem Guten und Tugendhaften und dessen Umfeld hatte begonnen. Offensichtlich galten auf dem Olymp andere Gesetze als auf Erden. Etwas abstrakter betrachtet gibt es Einstellungen und Werte, die abhängig vom Ort und der Zeit sind und zusätzlich einem Wandel unterliegen. Das ist die Moral. Moral ist eine Übereinkunft von Werten und Einstellungen, die auf Vereinbarungen von Menschen beruhen. Moral bezeichnet faktische Verhaltensmuster, Konventionen, Prinzipien und Regeln von Gruppen oder Kulturen. Die Einstellungen und Verhaltensweisen sind nicht nur abhängig vom Ort, sondern wandeln sich aber auch mit der Zeit. Moral unterliegt eindeutig dem Zeitgeist.

Moral ist nicht eindeutig

Entsprechend ihres faktischen Charakters ist die Moral durch eine besondere Vielfalt und durch Veränderungen entsprechend des Zeitgeistes geprägt. Es ist dazu folgendes philosophisches Fragment belegt: „Ich glaube, wenn jemand alle Menschen auffordern würde, das Unschickliche an einem Punkt zusammen zu tragen und wiederum aus dieser Gesamtmasse das Schickliche herauszunehmen, so würde wohl nicht ein Stück übrig bleiben, sondern alle würden alles unter Sicht aufteilen.“1

Die Definition der Moral als relatives Phänomen hat einen bedeutenden Einfluß auf Führung. Wenn eine Handlung als moralisch angesehen wird, dann ist sie das eben auf der Basis der Werte von Teilen der Gesellschaft. Diese Zusammenschlüsse von Menschen mit gleichen Wertvorstellungen können ein gesamtes Unternehmen umfassen oder nur bestimmte Koalitionen innerhalb der Organisation repräsentieren. Ein Unternehmen hat damit nicht zwingend eine singuläre gemeinsame moralische Basis. Es können viele verschiedene Koalitionen mit ganz unterschiedlichen Wertgrundlagen friedlich oder im Kampf nebeneinander bestehen. Definitorisches Merkmal der Moral ist allein die Übereinkunft einer Mehrzahl oder Vielzahl von Menschen.

Moralische Grundpositionen verstehen

Tatsächlich ist es so, dass wir in den Unternehmen einige fest etablierte moralische Gruppen identifizieren können. Die Aufsichtsräte haben sich mit dem Corporate Governance Codex eine moralische Ordnung gegeben.Das Top-Management, das selber einen langen Weg bis zur Spitzenposition gehen mußte, vertritt das Leistungsprinzip als wesentliche Grundlage des wirtschaftlichen Erfolges.Die Gewerkschaften, die sich historisch auf die kleinen Leute im Unternehmen beziehen, setzen dem Leistungsprinzip alle erdenklichen Mittel und insbesondere ein Gleichheitsprinzip entgegen. Das mittlere und gehobene Management hat wenig Chancen für einen weiteren Aufstieg und kann andererseits viel verlieren. Damit steht der Erhalt des Erreichten vor dem unbedingtem Willen zur Veränderung.Die häufig mit sozialwissenschaftlichem und psychologischem Hintergrund besetzten Personalabteilungen vertreten gerne die sozialen Aspekte im Unternehmen. Sie beschäftigen sich mit allen sozialpsychologischen Themen und empfinden sich als Garanten einer guten Führung.

Dies Liste der faktischen moralischen Koalitionen in einem Unternehmen ließe sich unendlich fortschreiben.

Vorsicht vor Moralisten

Die Einschätzung eines moralischen Verhaltes basiert allein auf einer faktischen Übereinkunft bei Wertefragen – egal ob als bewußte oder unbewußte Ordnung. Dieser Zusammenhalten wird aber immer nur von einem Ausschnitt einer Gesamtheit als positiv angesehen.

Wie schon die Sophisten feststellten, gibt es zu Werten immer eine genau entgegengesetzte Meinung. Dazu ist folgendes Fragmente überliefert: „Ich glaube, wenn jemand alle Menschen auffordern würde, das Unschickliche an einem Punkt zusammen zu tragen und wiederum aus dieser Gesamtmasse das Schickliche herauszunehmen, so würde wohl nicht ein Stück übrig bleiben, sondern alle würden alles unter Sicht aufteilen.“

Dementsprechend ist unmoralisches Verhalten die Einstellung einer jeweils anderen Gruppe, die andere oder konträre Wertmaßstäbe vertritt. Es stehen sich bei unmoralischen Verhalten mindestens zwei Gruppen mit nicht kompatiblen Wertemustern gegenüber. Sowohl die vermeintlich moralisch Handelnden als auch deren Gegenüber haben aber keinen ethisch berechtigten Herrschaftsanspruch. Es sind nur gegensätzliche Meinungen und Ansichten, die aufeinander treffen. Mit der Betonung einer moralischen Verantwortung, soll der eigenen Meinung besonders viel Gewicht gegeben werden. Wer aber das Prinzip der als Moral definierte Meinung durchschaut, kann seine eigene Moral dagegen stellen. Und genau das geschieht in der Gesellschaft, der Wirtschaft und in den Unternehmen jeden Tag.

Schaffen Sie gemeinsame Werte

Trotz der Relativität der Moral, die vom gesellschaftlichen und unternehmerischen Umfeld als auch vom Zeitgeist abhängig ist, erscheint es notwendig, eine gemeinsame moralische Basis für die Unternehmen zu definieren. Für das Gesamtunternehmen oder wesentliche Geschäftsbereiche fließen die Werteinstellungen in die Unternehmenskultur ein. So wie sich Werte und Einstellungen von einer starken Führung beeinflussen lassen, so kann auch die Unternehmenskultur in verschiedene Richtungen bewegt werden. Es entsteht das Handlungsfeld der kulturellen Prägung von Unternehmen. Wenn im Rahmen einer klaren Führung Fortschritt und Innovationen gefördert werden sollen, dann sind auch die damit verbundenen moralischen Aspekte zu behandeln. Innovatoren vertreten ja in besonderem Maße Werte wie Zukunftsorientierung, Technikgläubigkeit und Digitalisierung also gemeinhin Aspekte der Veränderungsbereitschaft. Damit ist vorgezeichnet, dass andere Koalitionen in den Unternehmen genau diesen Wertekanon kritisch beurteilen oder die notwendigen Veränderungen als unmoralisch ansehen. Führung muss die Widersprüche moralischer Aspekte erkennen und aktiv behandeln. Den Bereich der Werte und Einstellungen von Gruppen in den Unternehmen nicht zu gestalten, sondern dem freien Spiel der Kräfte zu überlassen, erfüllt nicht den Anspruch an Führung. Führung ist auch in Bezug auf die Moral kein laissez faire.

  1. Johannes Hirschberger: Geschichte der Philosophie, 12. Auflage, Freiburg im Breisgau 1980, S. 55.

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